Wie können Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß fassen und wie kann das System der WfbM für diejenigen, die das nicht können oder wollen, besser ausgestaltet werden? Auf die erste Frage gaben Vitus Geschäftsführer Michael Korden und Christian Thien, Kompetenzfeldleiter Qualifizierung und Arbeit bei Vitus, den Anwesenden eine klare Antwort: die Erschließung der persönlichen Talente der Beschäftigten.
Sie stellten die elaborierten Methoden der Qualifizierung vor, die bereits in der Berufsvorbereitungsstufe der eigenen Tagesbildungsstätte, der Jakob-Muth-Schule, beginnt und über den Berufsbildungsbereich (BBB) hinaus auch allen Beschäftigten jeden Alters zur Verfügung stehen. Dazu gehören immer wieder auch Praktika oder sogar die komplette BBB Laufbahn außerhalb der Werkstatt in Betrieben der Region.
Zudem werden von der Landwirtschafts-, Handwerks- sowie Industrie- und Handelskammer akkreditierte Qualifizierungen zur Hilfskraft in immer mehr Gewerken angeboten. Über Außenarbeitsplätze, Maßnahmen der Vitus Akademie oder den eigenen Inklusionsbetrieb, der GDA GmbH, haben Vitus Beschäftigte vielfältige Möglichkeiten für den Weg auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Christian Thien nennt insbesondere das emsländische Projekt des „Inklusiven Betriebes“ einen großen Gewinn, in dem sich bereits über 300 Betriebe dazu verpflichtet haben, entsprechende Beschäftigungsangebote für Menschen mit Behinderung bereit zu stellen. So gebe es sogar ein Überangebot an Stellen und Beschäftigte müssten zusätzlich motiviert werden, den Schritt aus der Werkstatt zu wagen. „Es ist natürlich auch Teil unserer Aufgabe, die Menschen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken und sich ihrer Talente klar zu werden“, so Thien.
Einkommenssituation der Beschäftigten zu unübersichtlich
Es gibt jedoch auch viele Beschäftigten, die zufrieden mit ihrer Arbeit in der WfbM sind und dort verbleiben möchten. Dies wird selbst in einer aktuellen Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) deutlich. Ganz klare Kritik äußern die Befragten der Studie jedoch an der bestehenden Entgeltsituation. „Hier müssen wir Veränderungen vorantreiben“ betonte Michael Korden. Die könne aber nicht allein durch die Werkstätten geschehen, sondern nur gemeinsam mit den Kostenträgern.
Dem Vorschlag in der Studie, dass sich Werkstätten nur noch auf wenige, besonders wirtschaftliche Arbeitsbereiche konzentrieren sollten, um höhere Entgelte zahlen zu können, kann Korden jedoch nichts abgewinnen: „Wir haben die Aufgabe, ein breites Angebot an Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, um den Beschäftigten eine Wahlmöglichkeit zu bieten, bei der sie gemäß ihren Interessen und Fähigkeiten arbeiten können. Bei uns ist Vielfalt in allen Bereichen ein Grundprinzip.“
Das Einkommen der Werkstattbeschäftigten setzt sich nicht nur aus dem Entgelt der WfbM, sondern auch aus Ansprüchen aus der Erwerbsminderungsrente oder der Grundsicherung zusammen. Hier müssen immer wieder Anträge gestellt werden, was es für die Beschäftigten sehr unübersichtlich und unnötig bürokratisch mache, findet auch Werkstattratsvorsitzender Tobias Bolmer.
Budget für Arbeit als zentrales Instrument
Hier macht Jens Beeck einen konkreten Vorschlag: „Ich möchte die Unterscheidung zwischen Werkstatt und allgemeinen Arbeitsmarkt aufheben und die Finanzierung einheitlich über das Budget für Arbeit realisieren. Beschäftigte wären somit sozialversicherungspflichtig bei der Werkstatt angestellt und erhielten alle Leistungen über ein einziges Instrument.“ Grundsätzlich wurde dieser Vorschlag positiv aufgenommen mit dem Hinweis, dass die Qualität der Qualifizierung und Rehabilitation dabei nicht vernachlässigt werden dürfe.
Auch der Verwaltungsaufwand könnte auf beiden Seiten verringert werden. „Ich plädiere hier insgesamt für weniger Dokumentationspflichten für die Werkstätten und damit mehr Zeit für die Beschäftigten“, so Beeck. „Mit entsprechendem Vertrauen zwischen Kostenträgern, den Werkstätten und den Beschäftigten ist die Bürokratie in der bestehenden Form nicht nötig.“
„Das Werkstattsystem muss sich weiterentwickeln“, waren sich alle in der Runde einig. Doch müsse dies im Gespräch mit den Betroffenen geschehen und nicht über deren Köpfe hinweg.
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